Bayerns Sorge um die Sprache
21.03.2024
Zum Bericht aus der Kabinettssitzung vom 19.03.2024
21.03.2024
Zum Bericht aus der Kabinettssitzung vom 19.03.2024
Bayern verbietet nun etwas, was bislang auch schon verboten ist bzw. nicht zulässig war. Der Ministerrat des Freistaates arbeitet sorgfältig und geht auf Nummer sicher.
Laut der PM zur Kabinettssitzung am 19.3.2024 beschloss der Ministerrat ein Verbot der Gendersprache. Dazu soll die Allgemeine Geschäftsordnung für Behörden des Freistaats (AGO) eine klarstellende Ergänzung erhalten. Denn die AGO verpflichtet die Behörden ja bereits in der bisherigen Fassung, die amtlichen Regelungen der deutschen Rechtschreibung im dienstlichen Schriftverkehr anzuwenden.
Es geht hier nicht um die schon geübte binäre Gendersprache, sondern um die jüngere nonbinäre Gendersprache, die die Vielfalt möglicher Geschlechter durch Wortbinnenzeichen wie * : _ darzustellen versucht. Und genau die Unzulässigkeit dieser Sonderzeichen der Gendersprache hat der Rat für deutsche Rechtschreibung zuletzt mit seinen „Erläuterungen“ vom 15.12.2023 zu seinem Beschluss vom 14.7.2023 über eine Ergänzung des Amtlichen Regelwerks für die deutsche Rechtschreibung durch einen Abschnitt „Sonderzeichen“ erneut bestätigt.
Hervorgehoben wird außerdem, dass diese amtlichen Regelungen der Rechtschreibung, wie sie nun in der AGO als Klarstellung hinzukommen, auch Grundlage für den Unterricht an bayerischen Schulen sei – das waren sie ja auch bisher. Die Schulen werden nun in fürsorglicher Weise vom BayStMUK über etwas informiert werden, was ohnehin schon vorher klar war: Die nichtbinäre Gendersprache mit ihren Sonderzeichen im Wortinneren ist nicht erlaubt. Die ohnehin anstehenden Änderungen am noch jungen BayHIG werden wohl auch einen solchen „klarstellenden Hinweis“ enthalten.
Man fragt sich, wenn überhaupt, warum (jetzt) dieser Aufwand des doch sicher mit anderen Aufgaben und Herausforderungen sich abmühenden Ministerrates erfolgt, wo doch die Redaktionsrichtlinien und die Organisationsrichtlinien des Freistaates für seine Behörden bereits durch eine Änderung vom 14.12.2021 – angeblich nach Beschwerden von Studierenden – diese Sonderzeichen ausdrücklich für „unzulässig“ erklären (OR verweist in 2.5.4 auf Nr. 3.4. der RedR). Genau auf diese beiden Richtlinien hat die jetzt zu ändernde AGO ohnehin schon hingewiesen. Das heißt: Schon vor dem Ministerratsbeschluss des 19.3.2024 waren Sonderzeichen wie * : _ in drei Verwaltungsrichtlinien für die offizielle Verwaltungssprache in Bayern verboten.
Es ist keine neue Erkenntnis: ‚Gendern‘ erhitzt so manches Gemüt. Politisierung und Instrumentalisierung allerdings eines dadurch von vielen Seiten ideologisch aufgeheizten Themas vernebeln den Blick und die Sinne für „echte“ Probleme, verhindern Sachlichkeit. Sprachentwicklung geschieht lebendig und dynamisch durch den Sprachgebrauch, Sprachwandel ist so alt wie die Menschheit. Wie hier die Entwicklung verlaufen wird, ist nicht vorhersehbar, aber es lässt sich auch nicht einfach normieren. Wir konjugieren heute problemlos Worte wie googeln, downloaden, updaten wie ein deutsches Verb, vielleicht gendern wir auch demnächst oder finden einen anderen Weg zu respektvoller und inklusiver Kommunikation.
Wichtig ist zudem: Gendersprache an sich wird durch diesen Ministerratsbeschluss in Bayern keineswegs verboten. Es gibt ja auch den Sprachleitfaden des BayStMI „Freundlich, korrekt und klar – Bürgernahe Sprache in der Verwaltung“ in einer Neuauflage von 2021. Die 4. Auflage 2022 dieses Sprachleitfadens erschien den Herausgebern offenbar notwendig, um auf die Änderungen in den schon erwähnten OR und RedR aus dem Jahr 2021 hinzuweisen, deren Text in den Anhang der 4. Auflage aufgenommen wurde (S. 52–60).
Dieser Sprachleitfaden des BayStMI empfiehlt die (binäre) geschlechtergerechte Sprache auf zehn Seiten (39–49), z.B. mit Paarformen, neutralen Bezeichnungen, Funktionsbezeichnungen oder der direkten Anrede. Neu gegenüber der Vorgängerversion ist die Aufforderung „Verwenden Sie männliche Substantive, wenn es der Klarheit und leichteren Verständlichkeit dient“ (S. 41 Ausgabe 2022). Vorher stand da „männliche Substantive“ sind „zu vermeiden“ (S. 43 Ausgabe 2021).
Aber auch das ist wirklich kein Aufreger.
Spannend ist vielmehr, dass sowohl die Änderungen an den RedR und den OR im Dezember 2021 wie die aktuelle Änderung an der AGO in Folge angeblicher Beschwerden von Studierenden über Genderzwang an bayerischen Hochschulen notwendig erschienen! Im Sommer 2021 wurde medial von einer Beschwerde des RCDS im Rahmen einer Wahlkampfveranstaltung des bayerischen Ministerpräsidenten berichtet und erneut soll es insbesondere vor Beginn des WS 2023/24 ähnliche Beschwerden gegeben haben. Ob diese Beschwerden je auf ihre Richtigkeit überprüft wurden, bleibt offen. Frage ich Dozierende oder Studierende, so höre ich von keinen Problemen wegen Gendersprache. In meiner mittlerweile mehr als 17jährigen Amtszeit als Universitätsfrauenbeauftragte und Arbeit in der Landeskonferenz der Frauen- und Gleichstellungsbeauftragten an bayerischen Hochschulen und Universitäten wurden mir keine Beschwerden vorgelegt.
Aber für die Politik des Freistaates scheint ‚Gendern‘ ein Kernthema geworden zu sein, so dass selbst bei den Bauernprotesten in München auf einem Traktor ein Plakat angebracht war: „Stoppt den Genderwahn“.
Warum sonst wurden die Hochschulen als Folge der oben erwähnten Beschwerden „höchst vorsorglich“ in einem Schreiben des StMWK vom 15.9. 2021 daran erinnert, dass nach Auffassung des Staatsministeriums vom amtlichen Regelwerk der deutschen Rechtschreibung abweichende Sprachregelungen hier grundsätzlich kein bewertungsrelevantes Kriterium darstellen können. Aus den Sprach-Leitfäden (ob oder wie viele Hochschulen überhaupt über einen solchen verfügten, blieb ungeklärt) dürfe sich keine Benachteiligung bei der Bewertung von Prüfungsleistungen und Auswahlentscheidungen ableiten. Dem Ministerium sei hier zugutegehalten, dass man aus dem Tenor des Schreibens seine eigene Verwunderung über selbiges spüren kann.
Warum sonst fühlt sich dasselbe Haus aufgrund erneuter vermehrter „Beschwerden und Hinweise“ auf den Umgang mit solch unzulässiger Gendersprache an bayerischen Hochschulen motiviert, in einem weiteren Schreiben vom 27.10.2023 nochmals auf das Schreiben vom 15.9.2021 und auf die RedR und OR zu verweisen, die Sparschreibungen und Sonderzeichen zur Geschlechterumschreibung ausdrücklich für unzulässig erklären.
Die Politisierung des Themas durch die Staatsregierung dient nicht dem Anliegen, sondern führt zu Polarisierung und Spaltung und schafft eher einen casus belli denn eine offene Debattenkultur.
Mit der Entscheidung vom 19.3.2024 wird nun auch in die AGO aufgenommen, was bisher schon bekannt war, dass die Sonderzeichen der non-binären Gendersprache in der Verwaltungssprache und den Behörden des Freistaates unzulässig sind.
Quellen:
https://www.bayern.de/bericht-aus-der-kabinettssitzung-vom-19-maerz-2024/#a-7
Allgemeine Geschäftsordnung für die Behörden des Freistaates Bayern
(AGO) vom 12. Dezember 2000 (GVBl. S. 873; 2001 S. 28): zuletzt geändert durch Bekanntmachung vom 14. Dezember 2021 (GVBl. S. 695)
https://www.gesetze-bayern.de/Content/Document/BayAGO/true
Änderung RedR und OR:
https://www.verkuendung-bayern.de/files/baymbl/2021/935/baymbl-2021-935.pdf
Freundlich, korrekt und klar - Bürgernahe Sprache in der Verwaltung
Herausgeber: Bayerisches Staatsministerium des Innern, für Sport und Integration.
4. Auflage August 2022 (Berücksichtigt die Beschlüsse des Ministerrats zu geschlechtsneutralen Formulierungen vom Dezember 2021)
P.S.: Dass es auch anders gehen kann, zeigt Österreich: In einer Präsidialverfügung des Bundesjustizministeriums betreffend den Leitfaden für einen gendergerechten Sprachgebrauch vom 6.8.2021 wird für die offizielle Kommunikation des Justizressorts der Gender-Doppelpunkt als gendergerechte Schreibweise vorgegeben.